Aufruf für ärztliche Unterstützung für eine verbindliche Personalbesetzung am Universitätsklinikum Gießen und Marburg
Die Covid-19 Krise hat uns in den vergangenen drei Jahren drastisch vor Augen geführt, wie knapp die Personalressourcen in wichtigen Kernbereichen der klinischen Versorgung über die letzten Jahre geworden sind.
Wir Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende wissen schon lange aus eigener Erfahrung, wie die aktuelle Personalbesetzung bei den Krankenhausbeschäftigten eine an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientierte und pflegerisch und medizinisch anspruchsvolle Versorgung erschwert, manchmal unmöglich macht und dass sie in Einzelfällen Leben gefährden kann.
Den Mangel an Pflegefachkräften und seine Folgen erleben wir jeden Tag: Überlastete Pflegefachkräfte, eine angespannte Arbeitsatmosphäre, erschwerte Teamarbeit und eine ansteigende Quote krankheitsbedingter Ausfälle aufgrund der Arbeitsbedingungen.
Krankenhaus ist Teamarbeit. Alle Beschäftigten erbringen ihren Beitrag zu einer bedarfsgerechten Patientenversorgung. Ohne Reinigung, Küche, Speiseversorgung, Logistiker, Kita, Zentralsterilisation und IT u.v.a. funktioniert kein Krankenhaus. Deshalb sind auch die nicht-pflegerischen Bereiche Teil der Entlastungbewegung am UKGM.
Mit dem dramatischen Personalmangel in der Pflege, aber auch in nicht pflegerischen Bereichen verschlechtern sich auch die ärztlichen Arbeitsbedingungen – vor allem aber ist eine qualitativ gute medizinische und pflegerische Versorgung der Patientinnen und Patienten bedroht.
Seit Jahren kommen die Länder ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der Investitionen in die Infrastruktur der Krankenhäuser nicht nach – auch nicht das Land Hessen.
Vor dem Hintergrund und in Kombination mit dieser Unterfinanzierung hat das Finanzierungssystem der Fallpauschalen durch Steigerung der Fallzahlen bei gleichzeitig sinkender Stellenzahl zu Arbeitsverdichtung besonders in der stationären Pflege geführt.
Das Konkurrieren um die „kosteneffizientesten Behandlungen“ hat über viele Jahre immer wieder zu Schließungen von Abteilungen und Bereichen in anderen Kliniken der Region Mittelhessen geführt, und somit dazu beigetragen, dass die Fallzahlen am UKGM massiv gestiegen sind.
Das vorzeitige Ausscheiden vieler Pflegekräfte aus dem Berufsleben und ihre berufliche Umorientierung konterkarieren darüber hinaus Initiativen, die auf verstärkte Ausbildungskapazitäten als Lösung des Fachkräftemangels setzen.
Bei einer Erhöhung von sechs auf sieben zu versorgende Patientinnen und Patienten pro Schicht und Pflegefachkraft steigt die Mortalität um sieben Prozent (1). Deutschland hat mit durchschnittlich 13 Patient*innen pro Schicht und Pflegefachkraft im europäischen Vergleich eine der schlechtesten Personalquoten (2).
Verbindliche und bedarfsgerechte Personalbesetzungen können diesem Trend entgegenwirken. Mit dieser Perspektive wurde bereits 2015 an der Charité ein viel beachteter Tarifvertrag durch Streik erwirkt. Konkreter werden die Entlastungs-Tarifverträge, die in den letzten Jahren an 23 Krankenhäusern in Deutschland abgeschlossen wurden, da sie bei Nichteinhalten der Pflegefachkraft / Patient*innenquote einen fest vereinbarten Freizeitausgleich vorsehen.
Eine aktuelle Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Arbeitskammer im Saarland und des Instituts Arbeit und Technik (IAT), Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen, zeigt auf, dass viele Pflegefachkräfte, die aufgrund von Überlastung Krankenhäusern den Rücken gekehrt haben und sich bei verbesserten Arbeitsbedingungen eine Rückkehr in den Beruf vorstellen können (3). Damit würde sich das von den Personalabteilungen der Krankenhäuser häufig geäußerte Problem der mangelnden Zahl verfügbarer Pflegefachkräfte grundlegend verkleinern.
Die Aktivitäten der Beschäftigten am Universitätsklinikum Gießen und Marburg hinsichtlich eines substanziellen Schritts zu verbindlichen Personalbesetzungsregeln können wir deshalb nur begrüßen.
Wir rufen alle Ärztinnen, Ärzte und Medizinstudierenden dazu auf, sich auch im Alltag auf den Stationen für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit den nicht-ärztlichen Kolleginnen und Kollegen solidarisch zu zeigen und damit auch das ärztliche Interesse an einer interprofessionellen Zusammenarbeit im Krankenhausalltag zu demonstrieren.
Quellen siehe Impressum